Vorträge an der Partneruniversität Athen
Prof. Rösler unterrichtete Ende April 2023 im Rahmen des Programms Erasmus+ acht Stunden an der Nationalen und Kapodistrias-Universität Athen. Die Universität Athen, wie sie meist genannt wird, wurde 1837 von Otto, dem ersten König des neueren Griechenlands gegründet. Sie ist eine der Partneruniversitäten der Universität Siegen (siehe weitere Austauschprogramme unten auf dieser Webseite).
Auf Einladung von Frau Ass.-Prof. Dr. Ekaterini N. Iliadou, die in Athen für den Austausch mit Siegen zuständig ist, sprach Prof. Rösler im Vertiefungskurs zum Öffentlichen Recht (8. Semester) über „The Relationship of the National Legal Order with EU Law“. Den ersten Teil widmete Prof. Rösler der inhärenten Logik der EU-Integration einer „ever closer Union“, die 1951 mit der Gemeinschaft für Kohle und Stahl ihren Anfang nahm. Dialektisch kontrastierte Prof. Rösler dies mit der Perspektive des nationalen Rechts, konkret der BVerfG-Rechtsprechung. Prof. Rösler erörterte hierzu eine Reihe von Entscheidungen, die sich mit der Vorrangfrage des EU-Rechts im Verhältnis zum deutschen Verfassungsrecht befassen: Nach den Entscheidungen „Lissabon“ von 2009 und „Honeywell“ von 2010 mündete die ultra vires-Rechtsprechung des BVerfG in die EZB-Entscheidung von 2020 zu den Public Sector Purchases (PSPP-Programm) der Europäischen Zentralbank, in der das BVerfG zum ersten Mal einen überschreitenden ultra vires-Rechtsakt der EU bejahte.
In der Vorlesung von Frau Prof. Iliadou „Allgemeines Verwaltungsrecht“ (2. Semester) sprach Prof. Rösler über „Constitutional and Administrative Law – A Federal System“. Er erläuterte die historischen und kulturellen Hintergründe des Föderalismus in Deutschland, der als vertikale Ausprägung der Gewaltenteilung die klassische horizontale Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative ergänzt. Dabei verglich Prof. Rösler die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, die gegenüber jenen der Bundesländer im Ergebnis sehr umfassend ausfällt. Allerdings erfolgt der Vollzug des Bundesrechts überwiegend durch Einrichtungen der 16 Länder. Dabei hob Prof. Rösler insbesondere das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 III GG hervor und thematisierte den Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Die weiteren Vorträge gab Prof. Rösler in den Vorlesungen von Frau Prof. Dr. Theodora Antoniou, die wie Frau Prof. Iliadou in Deutschland in deutscher Sprache promoviert wurde. Zunächst widmete sich Prof. Rösler mit Studierenden der Mastervorlesung „National and International Protection of Social Fundamental Rights“ erneut dem Verhältnis von EU- und nationalem Recht. Im Anschluss behandelte Prof. Rösler in einem weiteren Vortrag die „Current Issues of Fundamental Rights Protection in Germany“. Anhand von BVerfG-Rechtsprechung erläuterte Prof. Rösler kontroverse Themen wie das Abschießen eines gekidnappten Passagierflugzeuges bei exorbitanter Gefährdung, die Sterbehilfe, die Frauenquote, die rechtliche Erfassung von transgender Personen, das Kopftuchverbot, die gleichgeschlechtliche Ehe, die Kinderehe und zum Schluss die betriebliche Mitbestimmung.
Die Vorlesungen mit jeweils weit über hundert Teilnehmern mündeten in intensive Diskussionen. Obwohl Griechenland über kein Verfassungsgericht verfügt, zeigten sich vielfältige Einflüsse, die übrigens nicht nur das Verfassungsrecht, sondern auch das Zivilrecht umfassen (vgl. zum griechischen Zivilgesetzbuch von 1940/1946 den Eintrag im Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts). Grundlage bildet die gemeinsame Tradition beider Rechtsordnungen, aufgrund derer noch heute überdurchschnittlich viele griechische Juristen in Deutschland studieren, promovieren und in deutscher Sprache veröffentlichen.